Ich wusste, was ich konnte, und traute mir die Gründung eines eigenen Unternehmens zu. Gleichzeitig war mir jedoch auch bewusst, was ich nicht beherrschte. Mikroelektronik und integrierte Schaltungen gehörten definitiv nicht zu meinen Stärken. Aus dem Physikunterricht wusste ich noch, dass der elektrische Strom von der Kathode zur Anode fließt – doch dieses Wissen reichte bei Weitem nicht aus, um eine eigene Sensorik zu entwickeln, die die Verhaltensdaten der Kühe sammelt, die für die spätere Auswertung benötigt werden. Leider gab es zu diesem Zeitpunkt keine fertige Lösung, die hinsichtlich Funktionalität, Preis und Stromverbrauch meinen Anforderungen entsprochen hätte.
Zusammenkommen ist ein Anfang, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, und Zusammenarbeiten ist Erfolg.
Henry Ford
In diesem Moment wurde mir klar, dass der nächste Schritt nur im Team möglich sein würde. Als Einzelkämpfer kam ich an meine Grenzen. Die Suche nach Mitstreitern war jedoch alles andere als einfach. Ich benötigte jemanden mit fundierter Expertise in Mikroelektronik – eine schwierige Aufgabe, da die Elektronikproduktion heute vielfach nach Asien ausgelagert wird, wo auch das Wissen und Know-how konzentriert sind. Zudem wurde mir bewusst, dass ich mich noch immer in der Phase der reinen Idee befand. Und obwohl diese Idee viel Potenzial hatte, war sie alleine noch nichts wert.
Einer für alle – alle für die Gründung
Das EXIST-Gründerstipendium war für mich das perfekte Instrument, um meinen potenziellen Mitstreitern und Partnern mehr als nur reinen Idealismus bieten zu können. Es stellte die notwendige finanzielle Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums zur Verfügung, nicht nur in Form eines Budgets von 35.000 Euro für Sachmittel, sondern auch durch ein Stipendium zur Deckung der Lebenshaltungskosten für bis zu drei Gründer.
Mit diesem Ziel vor Augen begann ich, ein Team zusammenzustellen. Leider war Elektronikdesign zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so gefragt, wie es früher einmal war. Im DFKI, speziell im Bereich der eingebettete Intelligen, wurde ich an die Universität verwiesen, mit der sie bei der Elektronikfertigung zusammenarbeiteten. Also machte ich mich auf den Weg zur Fakultät für Elektrotechnik an der TU Kaiserslautern. Dort widmete sich allerdings nur ein Lehrstuhl dem Entwurf von Elektronik. Also suchte ich den Lehrstuhl für Mikroelektronischer Systeme auf. Dort traf ich auf einen Mitarbeiter, dessen Leidenschaft das Design von Leiterplatinen war. Leider war dieser bereits Teil eines EXIST-geförderten Gründerteams, weshalb ich ihn aus förderpolitischen Gründen nicht für mein Vorhaben gewinnen konnte.
Ich benötigte jedoch dringend jemanden, der die Sensorik für mein Produkt entwickeln konnte. Die Sachmittel des Gründerstipendiums reichten jedoch nicht aus, um ein Ingenieurbüro zu beauftragen. Zusätzlich war es notwendig, ein Gründerteam mit allen wesentlichen Kompetenzen zusammenzustellen, um das Stipendium bewilligt zu bekommen. In meiner Verzweiflung, als die Zeit drängte und das Jahr 2015 sich dem Ende neigte, erweiterte ich meinen Suchradius drastisch. Ich hängte Flyer in den relevanten Fachbereichen an Universitäten und Fachhochschulen mit passenden Lehrstühlen aus. Auch wenn dies zunächst wenig Erfolg hatte, half es mir, mein Netzwerk an Kontakten zu erweitern. Schließlich wurde ich auf das Formula Student Team aus Kaiserslautern aufmerksam, das in seiner Freizeit Formelautos baut und fährt. Tatsächlich fand ich hier eines meiner späteren Teammitglieder und Mitgründer.
Stipendien für alle
Im April 2016 erhielt ich schließlich den offiziellen Zuwendungsbescheid vom Ministerium, und am 1. August des gleichen Jahres starteten wir unser EXIST-Projekt. Damit begann die eigentliche Reise. Zusammen mit meinem Team machten wir uns sofort daran, die Sensorik für unser Produkt zu entwickeln. Wir testeten verschiedene Komponenten, entwarfen unsere eigenen Platinen und führten Gespräche mit Herstellern und Zulieferern, um die Versorgung sicherzustellen.
Zu dieser Zeit nahm das Thema der Ortung von Tieren in der Milchviehhaltung langsam Gestalt an, was mich dazu veranlasste, mein ursprüngliches Konzept weiterzuentwickeln. Ich integrierte eine Ortungslösung in unser Produkt. Es dauerte fast zwei Jahre, bis diese Lösung marktreif war. Allein die Suche nach der richtigen technologischen Grundlage nahm mehrere Wochen in Anspruch und führte zu unzähligen Prototypen. Unser Team untersuchte verschiedene Technologien für die Indoor-Ortung, angefangen bei klassischen Lösungen wie Bluetooth und WLAN über RFID bis hin zu neueren Ultraschallverfahren. Letztlich entschlossen wir uns für Ultrabreitband, da es in Bezug auf Genauigkeit, Robustheit, Skalierbarkeit, Stromverbrauch und Preis die besten Eigenschaften bot.
All diese Tests führten wir sowohl im Büro des DFKI als auch direkt in der Praxis an den Kühen durch. Zum Glück erhielten wir tatkräftige Unterstützung von der Versuchsanstalt Hofgut Neumühle, die uns ermöglichte, unsere Prototypen an ihren Kühen zu testen. Im Laufe der Zeit kamen so viele wertvolle Erkenntnisse zusammen.
Preisgekrönte Idee

Natürlich verbrachten wir das gesamte Jahr nicht ausschließlich im Büro, um an unserem Produkt zu feilen. Genauso wichtig war es, das passende Geschäftsmodell zu entwickeln. Daher investierte ich genauso viel Zeit in den Businessplan, um aus der Idee ein tragfähiges Konzept für die Gründung zu formen. Da jedoch niemand von uns im Team über umfangreiche Erfahrung im Geschäftsbereich verfügte oder ein Abschluss an einer renommierten Wirtschaftshochschule wie der WHU vorlag, entschloss ich mich, externe Unterstützung zu suchen. Ein hilfreiches Mittel, das wir gerne nutzten, waren Businessplan-Wettbewerbe. Diese boten uns nicht nur wertvolles Feedback zu unserem Konzept, sondern auch PR, neue Kontakte und Preisgelder.
Ich muss zugeben, dass es ein unbeschreibliches Gefühl war, auf der Bühne einen Preis entgegenzunehmen und die Laudatio vom Wirtschaftsminister persönlich zu hören. Als Gründer muss man sich häufig mit Herausforderungen und Rückschlägen auseinandersetzen – da kann etwas Bestätigung nie schaden.
Mit der Zeit gewann ich zunehmend Sicherheit und Erfahrung. Auf unseren ersten Preis im Jahr 2015 bei IKT innovativ folgten noch viele weitere Auszeichnungen. Insgesamt wurde InnoCow bei fünf bundesweiten und europaweiten Businessplan-Wettbewerben (zur Liste) prämiert. Diese Erfolge brachten nicht nur Anerkennung, sondern auch eine stattliche fünfstellige Summe an Preisgeldern ein, die wir hervorragend für die Weiterentwicklung unserer Gründung nutzen konnten. Dank dieser Mittel konnten wir uns nach dem Ende des EXIST-Stipendiums im Herbst 2017 finanzieren, bis die Anschlussfinanzierung gesichert war.
Investorenakquise für die Gründung
Wie es nun einmal der Lauf der Dinge ist, neigte sich das EXIST-Stipendium irgendwann seinem Ende zu. Deshalb beschäftigte ich mich frühzeitig mit der Anschlussfinanzierung unserer Gründung. Ein gut gemeinter Ratschlag von anderen Existenzgründern lautet: „Das Stipendium geht schneller zu Ende, als man denkt und möchte.“
Kaiserslautern, eingebettet in die wunderschöne Pfalz, erwies sich als ein idealer Standort für unser Unternehmen. Die Nähe zur Universität und renommierten Forschungsinstituten bot Zugang zu wertvollem Know-how und Talenten, zudem waren die Büroflächen erschwinglich. Das ist der Vorteil, wenn man sich nicht in den bekannten Startup-Hochburgen wie Berlin, München oder Hamburg niederlässt, wo man schnell nur einer von vielen wäre. Der Nachteil jedoch ist, dass auch das Netzwerk an Investoren hier nicht so ausgeprägt ist.
Umso mehr entschloss ich mich, frühzeitig den Kontakt zur Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) zu suchen, dem de facto Hauptinvestor des Bundeslandes. Die ersten Gespräche verliefen überaus positiv. Nach unserem ersten Treffen verabschiedete uns Frau Brigitte Herrmann, die damalige Leiterin des Bereichs Venture Capital, mit den Worten, dass sie schon lange keinen so überzeugenden Businessplan mehr gelesen hatte.
Obwohl diese ersten Worte sehr ermutigend waren, vergingen noch gut neun Monate, bis die Beteiligung am Unternehmen formal durch den Notar besiegelt und die Agios bewertet wurden. In dieser Zeit gründeten wir unser Unternehmen als GmbH mit Sitz in Kaiserslautern, wobei ich als alleiniger Geschäftsführer fungierte. Damit war die Grundlage gelegt: Aus einer vielversprechenden Idee war ein solides Konzept geworden, in das Investoren bereit waren, eine signifikante Summe zu investieren. Dieser Schritt markierte für mich die Entwicklung vom Gründer zum Unternehmer.